Donnerstag, 14. Dezember 2006

Winterflug vom Wallberg

6.00 Uhr. München-Neuhausen. Dein Wecker geht. Es ist Donnerstag. Du musst in die Arbeit. Und du hast Weihnachtsstress. Bis jetzt hast kaum ein Geschenk. Deine arme Freundin... Am besten drehst du dich einfach um und schläfst weiter. Schlafen geht aber nicht mehr. Eine Frage macht sich in deinem Hirn breit. Wie ist das Wetter? Du schlappst zum Schlepptop. 5 bis 10 kt Wind aus Nordwest. Sonnenschein. Okay. Du checkst kurz im Kopf, was alles kaputt gehen könnte, wenn du heute nicht in die Arbeit gehst. Verdammt, einen Tag kannst du schon mal raus. Du machst Kaffee und ziehst dich an.

Rechts neben der Tür steht die Aktentasche. Du greifst nach links zum Paragleiter. Zufriedenheit macht sich in dir breit. Im Treppenhaus auf dem Weg zur Tiefgarage erntest du erstaunte Blicke. Man kennt dich nur im Anzug, nicht mit großem Rucksack. Du bist auf dem richtigen Weg.

Auf dem Mittleren Ring ist der Berufsverkehr im vollem Gang. Heute drehst du das Radio auf. Das Leben kann so schön sein. Du trietschelst gelassen bis zum Luise-Kieselbach-Platz. Dann rauf auf die A95 und gib ihm.

Es ist kaum 8 Uhr, da tut sich der Tegernsee vor dir auf. Spiegelblank liegt er da. Das Radio nervt jetzt. Du fährst am See entlang. Die Sonne strahlt. In Bad Wiessee holst du dir beim Bäcker ein anständiges Spätstück.

Auf dem Parkplatz der Wallbergbahn steht kein einziges Auto. Sehr gut! "Servus" wirst du schlicht beim Einsteigen in die Gondel gegrüßt, als ob du jeden Tag einsteigen würdest. Mit ein paar kleinen Rucklern beschleunigt die Gondel aus der Talstation. Ruhe.

Die Gondel schwingt sich über die erste Stütze. Unter dir breitet sich langsam das Tegernseer Tal aus. Rottach-Eggern. Darhinter der Tegernsee. Du genießt die Bergfahrt und lässt deinen Blick schweifen.

Auf der Bergstation begegnet dir ein Rentnerehepaar. Der Mann guckt interessiert zu dir herüber. Nachdem du von der Toilette zurück bist, wird der Mann von seiner Frau zu dir geschupst. "Da ist doch ein Fallschirm drin, oder?" Er zeigt auf deinen Rucksack. "Springen Sie damit den Berg hinunter?" Du erwiderst, dass da ein Paragleiter drin ist und du vor hast, vom Berg zu fliegen, springen sei dir zu gefährlich. Dann machst du dich zum Startplatz auf.

Der Himmel ist wolkenlos und tief blau. Obwohl es eiskalt ist, ist dir warm. Natur pur. Genial. Du setzt dich in den Schnee und lässt den lieben Gott einen guten Mann sein.


Entspannt begibst du dich in Richtung Kircherl. Es kommt dir Wind entgegen. Das passt irgendwie nicht wirklich. Egal, du schaust trotzdem zum Startplatz. Dich empfängt Rückwind und nicht zu knapp. Du überlegst...

Der Windsack auf der Alm zeigt Westwind. Das passt auch nicht gut. Das Rentnerehepaar geht an dir vorbei und der Mann fragt mit einem gewissen triumphierenden Unterton in seiner Stimme, ob dich jetzt der Mut verlassen hat. Dir liegt an dem schönen Tag, drum verkneifst du dir einen Kommentar.

Der Weg zur Alm ist nicht weit. Die paar Schritte bergauf sind herrlich. Dein Kreislauf meldet sich mit einem freudigen Hallöchen: "Komm, lass uns was anstellen!" Auf der Alm weht der Wind quer zur eigentlichen Startrichtung. Mit etwas Fingerspitzengefühl kann man aber gut starten. Die Luft riecht herrlich.

Du ziehst kurz an den A-Leinen. Schon steht der Schirm über dir. Du drehst dich nach vorn. Zwei Schritte und der Schirm hebt dich sanft vom Schnee ab. Die Luft rauscht. Die Bäume gleiten unter dir weg. Es trägt. Federleicht. Du genießt die Schwerelosigkeit.

Du fliegst ins Tal hinaus. Der Ringberg kommt auf dich zu. Unter dir schlängelt sich die Weißach. Alle Häuser sind ganz klein und stehen sauber in Reihe und Glied. In jeden Garten kannst du hineinsehen.


Du drehst um, fliegst gemächlich Richtung Landewiese. Du willst viel Höhe haben, um abspiralen zu können. Dann lenkst du beherzt nach links und legst dich voll hinein. Die Kurve wird steiler. Der Schirm geht auf die Nase und beschleunigt. Mit der Außenbremse gehst du auf Kontakt und lässt dich ins Gurtzeug pressen. Alles dreht sich. Der Fahrtwind pfeift. Juppie!

Du ziehst noch einen Kreis. Dann setzt du zur Landung an. Kaum haben deine Füße den Erdboden wieder berührt, entleert sich der Schirm und sinkt lautlos herab. Hier und jetzt. Du bist glücklich!














Mittags sitzt du wieder brav an deinem Schreibtisch. Alles ist gut. Nichts ist kaputt.